Bernd Sondergeld (48) ist gelernter Schauwerbegestalter (heute: Gestalter für visuelles Marketing) hat im Messebau und der Architektur gearbeitet, schauspielert und singt und führt einen wunderbar bunten Laden für Dekoration und Kostüme auf der Lindenstraße. Dort habe ich ihn getroffen … und als der Abend länger wurde, sind wir in die Kölschbar gegenüber umgezogen.

LG: Warum bist Du nach Köln gekommen?

Bernd: Wegen der Liebe in Duisburg! Na, es passte auch vom Job ganz gut (lacht).

LG: Duisburg? Du bist wegen einer Liebe in Duisburg nach Köln gezogen? Vielleicht sollten wir doch weiter  vorne anfangen. Wo bist Du geboren und wie ging es von dort  weiter?

Bernd: Geboren bin ich im beschaulichen Bad Hersfeld. „Leber, Galle, Magen, Darm“. (lacht)

LG: Leber, Galle, Magen, Darm?

Bernd: Das Wasser dort soll gut sein und ist für seine Heilwirkung bekannt. (lacht)

Ich bin aber schon mit 15 nach Kassel gezogen. Es war damals eine schwierige Zeit. Als meine Mutter gestorben war, wollte ich nur weg. In der Zeit hatte ich auch mein Coming-out.

In Kassel habe ich dann erst einmal die Schule fertig gemacht. Nebenbei habe ich im Staatstheater Kassel gearbeitet: Bühnenbild, Kostüme und auch als Komparse.

LG: Was hast Du dann für einen Beruf erlernt?

Bernd: Ganz klassisch Schauwerbegestalter, aber bei einer Messebaufirma in Kassel. Von dort bin ich direkt nach Stuttgart gegangen. Dort habe ich auch die Werbefachschule besucht und mich als Projektleiter und im Bereich CAD weitergebildet. Die Art, in Stuttgart zu wohnen, mit den vielen Hügeln und den Wohnungen am Hang, erinnert mich an Kassel. Ich mag die Perspektive. Stuttgart war OK, aber ich war da immer irgendwie auf dem Sprung. Und ich war mir sicher, dass das nicht für die Ewigkeit ist.

LG: Warum bist Du überhaupt nach Stuttgart gegangen?

Bernd: Naja. (lacht) Der Liebe wegen!

LG: Einfach so, ohne Job?

Bernd: Das nicht. Ich war damals noch in der Ausbildung und habe mich umgesehen, wo ich in Stuttgart denn gerne arbeiten würde. Und das war dann das Modehaus Fischer auf der Königstraße. Das Geschäft hat im Mai 2013 leider zugemacht.

LG: Und Du hast Dich da beworben?

Bernd: Nein. Ich habe mich eigentlich nie klassisch irgendwo beworben. Ich habe mich einfach immer gemeldet, bin hingegangen und habe mich vorgestellt. Auch im Modehaus Fischer. Mit meiner Mappe unter‘m Arm bin ich ins Geschäft gegangen und habe gefragt, ob der Werbeverantwortliche da ist und der hat dann eine Stunde mit mir gesprochen, mich herumgeführt und schließlich eingestellt. Da war meine Ausbildung noch gar nicht fertig. Aber so hatte ich direkt eine Stelle in Stuttgart.

Letztlich habe ich dort dann den Abteilungsleiter vertreten. Aber mir fehlten irgendwann doch mehr Herausforderungen.

Ich habe mir dann überlegt, wieder in den Messebau zu wechseln und habe das Branchenbuch nach Messebaufirmen durchstöbert. Eine kleine, gut gestaltete Anzeige in den Gelben Seiten hat mich neugierig gemacht. Also habe ich dort angerufen und mich vorgestellt. Vier Wochen später haben die angerufen und mir eine Stelle angeboten, obwohl sie beim Gespräch noch meinten, dass sie eigentlich gar keine freie Stelle haben. Aber dann ist zufällig kurzfristig doch was frei geworden.

Dort habe ich recht lange als Projektleiter gearbeitet und ziemlich schnell den CAD-Bereich betreut und ausgebaut und mich spezialisiert.

LG: Wie bist Du dann nach Köln gekommen?

Bernd: Eigentlich ganz einfach. Nach dem Ende meiner damaligen Beziehung in Stuttgart habe ich 2 Jahre wie ein Mönch gelebt. Aber irgendwann war ich auf der Geburtstagsparty eines alten Freundes in Oberhausen, und weil mein Ex auch da war, habe ich wohl nicht so viel mitgekriegt und bin recht früh gegangen. Ich habe dort bei einer Freundin übernachtet und morgens, als ich wach wurde, lag jemand neben mir. Nicht, was Du jetzt denkst – ein anderer Freund von ihr hat dort halt auch übernachtet. Eben der Mann aus Duisburg.

Da ich mich eh beruflich weiterentwickeln wollte – und ja wie gesagt in Stuttgart auf dem Sprung war – dachte ich, warum nicht NRW. Der Hersteller der CAD-Software, mit dem ich beim Messebauer viel zu tun hatte, sitzt in Aachen, und ich hatte einen guten Draht zu denen. Die haben mir erzählt, dass es in Köln ein Architekturbüro gibt, das zwar die CAD-Software gekauft hatte, aber der Rechner stand unbenutzt herum, weil keiner die Software bedienen konnte. Also habe ich mich bei denen gemeldet und habe dann 3D-Konstruktionen für Industriebauten für die gemacht. Aber nach der Arbeit der letzten Jahre mit vielen Überstunden und Stress kam für mich nur Teilzeit in Frage. So hatte ich noch für anderes Zeit.

LG: Was hast Du mit der freien Zeit angefangen?

Bernd: Ich habe freiberuflich CAD-Schulungen gegeben. Und nebenher war ich zum Spaß Kleindarsteller für TV-Sendungen, wie zum Beispiel „Die Wache“. Da haben wir dann in Dellbrück gedreht. Einmal musste ich mit einem VW-Bus, als Polizist verkleidet, über die Zoobrücke fahren, obwohl ich mich damals noch null in Köln auskannte. Per Funk hat die Regie mir gesagt, wo ich hinfahren soll. Aber als ich dann abbiegen sollte, war ich auf der linken Spur und da war eine durchgezogene Linie neben mir. Ich konnte ja nicht einfach so mitten im Berufsverkehr die Linie überfahren, auch nicht im falschen Polizeiwagen. Also bin ich so lange weitergefahren, bis ich rechts abbiegen konnte … und habe mich prompt in Nippes verfahren. Im falschen Peterwagen und in Polizeiuniform … zumindest obenrum.

Ich habe auch mal für die Sendung „Markt“ vom WDR für irgend einen Einspieler einen Sarg mit einem Kollegen durch einen sehr engen Flur getragen und dabei sollten wir singen.

LG: Und wie bist Du zu Deinem Kostüm- und Dekoladen gekommen?

Bernd: Ich war mit meiner besten Freundin Andrea, die auch Schmückerin ist, unterwegs, um für Karneval ein Kostüm zu besorgen. Da sind wir dann in einen Laden gekommen und der Besitzer erzählte uns, dass es für ihn die letzte Saison sei und er den Laden schließen wird. Als wir uns am nächsten Morgen beim Frühstück gegenüber saßen und anschauten, fragten wir beide gleichzeitig: „Denkst Du auch, was ich denke? Sollen wir beide das mit dem Laden machen?“ Andrea war zu der Zeit arbeitslos.

Wir haben das dann alles geplant, haben mit dem Altbesitzer verhandelt, z. B. dass er den Laden nicht komplett ausverkauft, sondern wir Waren übernehmen können und so weiter. Es war alles unter Dach und Fach, als mir Andrea zwei Tage vor der Vertragsunterzeichnung eröffnete, dass sie doch nicht mitmachen würde. Ich fiel aus allen Wolken.

LG: Wolltet ihr 50/50 machen?

Bernd: Eigentlich nicht. Ich war ja beim Architekten zufrieden und wollte nur nebenbei 50 % im Laden arbeiten und Andrea sollte das zu 100 % übernehmen. So wollten wir das Geschäft langsam aufbauen. Als sie dann ausgestiegen ist, konnte ich nicht auch einfach einen Rückzieher machen. Ich fühlte mich gegenüber dem Altbesitzer und Vermieter irgendwie auch verpflichtet. Und so habe ich den Laden dann Vollzeit übernommen und ein halbes Jahr am Abend beim Architekten gearbeitet. Damals war der Laden noch in der Händelstraße, nicht weit vom jetzigen Standort. Heute ist da ein Kopfhörerladen drin. Später bin ich umgezogen in die größeren Räume in der Lindenstraße. Das war früher mal ein Süßwarenhandel. Daher stammt auch das Förderband, das in den Keller führt

LG: Lebst Du denn gerne in Köln – obwohl Du wegen der Stadt ja ursprünglich nicht hergekommen bist?

Bernd: Ja, sehr. Ich mag die Mentalität. Zumindest meistens. Köln ist keine Schönheit – ich hätte Köln nicht wegen des schönen Stadtbildes ausgewählt. Aber ich mag die Größe. Man kann sich aus dem Weg gehen, trifft sich aber auch hin und wieder zufällig. Köln ist so eine schöne Stadt/Dorf-Mischung. Und man muss auch kein Sportler sein, um mit dem Rad durch die Stadt zu fahren, wie etwa in Stuttgart.

LG: Köln ist sehr entspannt.

Bernd: Auf jeden Fall. Was ich nur schade finde ist, dass sich das Stadtbild in den letzten 20 Jahren sehr dem anderer Städte angleicht und sich schleichend auch hier der Konformismus breit macht. Als ich nach Köln kam, war z. B. die Ehrenstraße noch sehr viel individueller. Heute sind die Immobilienbesitzer dort nur noch an den permanent steigenden Mieteinnahmen interessiert. Deswegen findet man da jetzt einfach mehr und mehr die gleichen Läden und Ketten wie überall sonst auch. Diese Ketten hauen aber auch als erste ab, wenn mal wieder schlechtere Zeiten kommen. Kleine Läden würden länger durchhalten, weil die anders rechnen und gar nicht so schnell aufgeben können. Ich kann aber auch diese ganzen Backshops nicht leiden. Das ist Müll und Sinnestäuschung.

Bernd Sondergeld, by Lars Gehrlein, Köln, 2013

LG: Ich weiß, dass Du sehr auf Dein Essen achtest.

Bernd: Ich bin Rheumatiker. Da befasst man sich schon mehr damit, was für den Körper gut und gesund ist. Ich kaufe z. B. nur echte Lebensmittel, kein Convenience Food, ich esse kein Fleisch und nur sehr wenig Milchprodukte. Wenn ich Schund kaufe, ist das einfach nicht gut für mich und mein Körper zeigt mir das deutlich.

Es behaupten ja viele, dass gesunde Ernährung teuer wäre. Das kann ich nicht behaupten. Es ist einfach unbequemer. Man kann eben nicht in jedem Supermarkt gute Lebensmittel kaufen. Und 90% der Ware existiert für mich eh nicht, was meinen Einkauf schnell und einfach macht.

LG: Und bei Dir im Laden …

Bernd: … werden die Produkte, die sich gut verkaufen, auch immer beliebiger. Die Leute sind einfach weniger kreativ als früher. Alle möchten etwas Besonderes, aber am liebsten nichts dafür tun, sondern nur shoppen. Ich habe zum Glück viele Kunden, die zu unseren Workshops kommen und Spaß dabei haben, kreativ zu arbeiten. Außerhalb der Karnevalszeit passiert hier im Laden ja auch noch viel mehr. Wir machen Dekorationen und bauen Requisiten. Hier wurden sogar schon Theaterstücke gespielt. Solche Aktionen würde ich gerne auch in der Nachbarschaft weiter fördern. Ich finde, gerade das macht Köln aus, die Veedel und die Beziehungen und das Leben dort. Ich würde mir wünschen, dass das mindestens so aktiv bleibt wie heute oder das die Energie dort noch zunimmt. Ich bin ja auch schon 17 Jahre in der Ecke.

LG: Wenn Du mal etwas total anderes machen müsstest, was wäre das?

Bernd: (ohne Zögern) Musik. RnB. Aber auch Film und Theater sind Herzensdinge von mir, mit denen ich mich wohl und Zuhause fühle. Aber ich möchte nicht gerne davon leben müssen. Diese Utopie habe ich nicht. Ich habe da kein konkretes Ziel, aber ich möchte einfach gerne mehr musikalisch arbeiten. Ich nehme jetzt wieder Gesangsunterricht. Bei Christian Miedl, einem sehr guten Bariton. Ein sehr interessanter Typ und es macht großen Spaß.

LG: Du hast früher schon gesungen?

Bernd: Ja, bis vor 2 Jahren in einer A-Capella-Gruppe. Aber in Zukunft mag ich nicht mehr in einem Chor singen. Die Interessen von so vielen Leuten sind einfach schwer unter einen Hut zu bekommen. Ich überlege aber, zusammen mit meinem Freund Ingmar, ein Theaterstück mit Musik zu machen.

LG: Ist das nicht schwierig, mit Deinem Lebenspartner  zusammenzuarbeiten?

Bernd: Ach, das geht schon. Ich habe damit ja Erfahrung (lacht). Mein Ex arbeitet mit mir seit vielen Jahren hier im Laden. Und das geht sehr gut.

LG: Köln hat ja eine ziemlich umfangreiche Schwulencommunity. Bist Du dort viel unterwegs?

Bernd: Nein, eigentlich weniger. Das ist für mich auch nicht sehr von Bedeutung. Das grenzt eher aus und ich finde das auch unspannend. Früher war ich ab und zu aus. Das mache ich heute kaum.  Es gibt in Köln so viele unterschiedliche und schöne Möglichkeiten auszugehen, dass ich mich da nicht auf die Community-Lokationen einschränke. (Wir sind mittlerweile in die Kölschbar umgezogen.)

Ich mag diese Menschenmassen ohnehin nicht so sehr, was nicht heißt, dass ich menschenscheu bin. Wenn ich selbst auf der Bühne bin, find ich’s gut (lacht). Aber in einem Pulk von Menschen ist das kein Genuss für mich.

LG: Wo würdest Du leben wollen, wenn nicht  in Köln?

Bernd: In Lissabon. Die Stadt ist nicht snobby, sehr entspannt, umgänglich und nicht zu chic. Das Klima ist auch OK und es ist nicht wirklich weit weg. Ich finde es sehr angenehm dort. Aber ich kann – noch – kein Portugiesisch! (lacht)

Toronto war vor 23 Jahren auch mal eine Überlegung. Ich habe 1990 dort einen Sommer lang bei einem befreundeten Unternehmen gearbeitet. Hätten die dort nicht gerade eine schwere Rezession und infolgedessen keine Arbeitsplätze gehabt, wäre ich sicher dort gelandet. Aber das ist Schnee von vorgestern.

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Fotografien und Interview: Lars Gehrlein, Köln, 2013

Veröffentlicht von Lars Gehrlein

Lars Gehrlein ist ein Reise- und Porträtfotograf aus Köln. Er ist immer auf der Suche nach Geschichten über (noch) unbekannte Menschen und Orte, um sie zu erzählen oder zu fotografieren.

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