Christian ist Kölner. Geboren ist er in Stuttgart als Sohn einer Stuttgarterin und eines Flensburgers – mit 10 Jahren ist er nach Hamburg gezogen. Nach seinem Studium in Bayern, Mexico und den USA hat er sechs Jahre in Barcelona gelebt und sein Geld mit Mobile- und Online-Marketing verdient. Unausgelastet und weil er so gar nicht spanisch ausschaut, konnte er als Werbeschauspieler ein paar Werbespots drehen und hat dafür nachts tief unter der Erde in einem unterirdischen Saal des Institut del Teatre mit einem russischen Coach an seinen Schauspielkünsten gearbeitet. Heute arbeitet er im Mobile Marketing bei einem Reisedienst und wohnt im Belgischen Viertel, Nähe Brüsseler Platz.

Christian in der Kölner U-Bahn, von Lars Gehrlein Christian in der Kölner U-Bahn, von Lars Gehrlein

LG: Barcelona – Köln? Keine offensichtliche Wahl für die meisten Menschen. Was hat Dich hierher gebracht?

Christian: Ich habe schöne sechs Jahre in Barcelona gehabt. Aber Deutschland hat sich in dieser Zeit auch sehr weiterentwickelt. Multikulti, das aber auch ein schönes Selbstbewusstsein aller hier lebenden Kulturen zulässt. Die Spanier sind da etwas anders: Du bist eher Spanier oder „ein Guiri“ (ein Fremder). Das Leben ist anstrengender geworden in Barcelona. In den letzten Jahren sind ca. eine Million Einwanderer nach Barcelona gekommen. Hauptsächlich aus Südamerika für die Baubranche. Nachdem die Baubranche in Spanien jetzt derart am Boden liegt, ist in der Stadt einfach eine seltsame Stimmung eingekehrt. Außerdem hat Barcelona eine eher schlechte Infrastruktur. Unter meinen Bekannten dort gibt es heute noch die Redewendung: „Uns war immer kalt“. Von Mai bis Oktober ist es herrlich. Den Rest des Jahres ist es kalt und nass. Ich mag Deutschland und Köln ist für mich die spanischste Stadt Deutschlands.

LG: Warum?

Christian: Weil das Leben auf der Straße stattfindet. Karneval feiern, entspannt sein. Nicht nur im Sommer wie in Spanien.
Dann kam irgendwann noch das klasse Jobangebot dazu. Ich hatte schon während verschiedener Fachmessen Köln immer ein bisschen kennengelernt und mochte das gleich. Hier kann man, wie in Barcelona, alles zu Fuß erledigen. Ich mag den Karneval, aber auch die Kunst- und Kulturszene mit den vielen Galerien. Man lernt hier sehr einfach wirklich klasse Leute kennen.

LG: Du hättest Deine Arbeit ja auch in einer anderen Stadt machen können. Wie beeinflusst Köln Deine Arbeit?

Christian: Köln ist natürlich schon eine Medienstadt, alleine schon durch die DMEXCO. In Berlin passiert im Moment sicher noch mehr bei den Themen Online und Mobile, aber Köln holt deutlich auf. Es gibt viele neue Startups hier. Und es macht hier einfach mehr Spaß als anderswo. Man geht nach der Arbeit zusammen ins Brauhaus und lässt den Tag gemeinsam Revue passieren. Das kenne ich aus anderen deutschen Städten, z. B. Hamburg, so nicht.

Christian in der Kölner U-Bahn, von Lars Gehrlein Christian in der Kölner U-Bahn, von Lars Gehrlein Christian, Köln 2013, by Lars Gehrlein

LG: Verhalten sich die Einheimischen in Barcelona anders gegenüber Zugereisten/Imis als die Kölner?

Christian: Es gibt hier schon welche, die sind sehr „kölsch“, sehr stolz auf ihre Geschichte, wie die Katalanen auch. Die bilden ihre eigenen Clübchen. Das ist in Köln dann am ehesten in Verbindung mit dem Karneval so. In Barcelona bist Du eben immer ein Guiri (ein Fremder). Diese Abgrenzung findet man aber überall, das ist nicht spezifisch kölsch. Es ist eher so, dass ich auch Gemeinsamkeiten zwischen Köln und Barcelona entdecke… sogar die schlechte Wohnungssuche. (lacht)

LG: Du bist schon alleine durch Deinen Beruf viel im Internet unterwegs. Kannst Du denn privat noch gut ohne Internet auskommen? Ohne Facebook, Instagram und Smartphone?

Christian: Nein. Ich kommuniziere viel darüber. Ich kenne viele Menschen, die verstreut auf der Welt leben und mit denen ich nur so Kontakt halten kann. Ich war vor kurzem mal zwei Wochen lang ohne Facebook, als ich in Shanghai war. Die Chinesen machen das ja gnadenlos dicht. Das ging dann aber auch irgendwie. Ich empfinde die neuen Kommunikationsmöglichkeiten als echte Bereicherung gegenüber der Vorinternetzeit. Ich bin wirklich viel online. Und auch schon lange; seit fast 20 Jahren nutze ich das Internet. Heute ist es viel leichter, sich hochwertiges Wissen zu besorgen als früher. Vielen Leuten ist das kaum noch bewusst. Aber es ist wirklich leicht, sich z. B. Lectures von der Stanford Universität zu besorgen. Das war früher nicht denkbar.

LG: Wie beeinflusst das Internet und vor allem die sogenannten sozialen Netze Dein Leben derzeit?

Christian: Ich mag Instagram gerne, weil man da einen ganz anderen Einblick in das Leben anderer Menschen bekommt; quasi mit deren Augen die Welt sieht. Man muss aber aufpassen, dass man nicht zu viel Zeit drauf verwendet und abends auf der Couch nicht immer noch am Smartphone hängt. Aber Fotos teilen macht Spaß.

Christian-in-Koeln--by-Lars-Gehrlein-2012-0010 Christian in der Kölner U-Bahn, von Lars Gehrlein

LG: Während wir die Fotos von Dir aufgenommen haben, sind auf einmal Mädels – wild Haare hinter sich werfend – ins Bild gelaufen und, zumindest mir, ist die Situation für einen Moment entglitten. Was hattest Du denn zu den Mädels gesagt?

Christian: Dass wir hier für die Gala shooten. Die Mädels sind heute von den ganzen Castingshows im Fernsehen ja geradezu trainiert, sofort in Pose zu springen.

LG: Ist das typisch für Dich? Situationen zur Unterhaltung zu erfinden?

Christian: Ja, das konnte ich schon immer  ganz gut. Ich wusste auch immer, wie man Menschen imitiert. Das war jedoch bei meinen Lehrern nicht immer sehr beliebt…. zumindest, wenn sie mich erwischt haben, wie ich sie imitierte.

LG: In Barcelona hast du Schauspielunterricht genommen. Wie kam das zustande und warum bist Du den Weg nicht weiter gegangen?

Christian: Ich habe zufällig eine Bookerin für Werbeschauspieler kennengelernt und habe die in ihrer Agentur besucht. Und irgendwie hat das gepasst, weil ich so unspanisch aussehe. Sie hat mich direkt zu einem Casting mitgenommen und das hat gleich geklappt. Das war eine Produktion mit großem Budget für einen Fernsehhersteller….aber ich habe derart schlecht gespielt, dass die mich zum Schluss komplett rausgeschnitten haben, obwohl ich einer der Hauptdarsteller war. Mir machte das dennoch viel Spaß. Aber das Können passte einfach nicht. Deshalb habe ich dann Kurse besucht. Von solchen, bei denen der Trainer vom Blatt ablesen musste, was er eigentlich machen soll, bis hin zu einem sehr guten russischen Regisseur und Schauspielcoach im Insitut del Teatre.

Aber letztlich fehlte mir der Mut, mein Leben damit zu bestreiten. Ich habe es eine Zeitlang versucht. Aber ich esse einfach zu gerne gut und möchte mir nicht den Kopf darüber machen, wo morgen das Essen herkommt. Viele Schauspieler haben kein gutes Auskommen, obwohl sie es verdient hätten. Ich würde das Schauspielern gerne als Hobby in einer kleinen Gruppe weiter pflegen. Aber hauptberuflich wäre mir das zu riskant, auch wenn ich höchsten Respekt habe vor allen, die das durchziehen.

Christian-in-Koeln--by-Lars-Gehrlein-2012-0004 Christian-in-Koeln--by-Lars-Gehrlein-2012-0001 Christian, Köln 2013, by Lars Gehrlein

LG: Wie sieht denn heute ein typischer Tag für Dich in Köln aus?

Christian: Um 6:30h klingelt der Wecker und wird zirka zehnmal mit der Snoozetaste zum Schweigen gebracht. Danach gehe ich meist am Brüsseler Platz frühstücken und anschließend fahre ich mit der Bahn zur Arbeit. Die KVB ist auch typisch Köln. Da kommt gerne mal die 15, obwohl die 12 als nächste Bahn angeschrieben steht. Das scheint dann aber auch niemanden zu stören. Toll finde ich vor allem die sehr nette Stimme der Ansagerin in den Bahnen. In Hamburg hat man da so’n schnodderiges „Zurückbleiben bitte“. Hier ist das liebenswürdiger.
In der Bahn lese ich meist den Express. Das ist irgendwie lustig. Express ist für mich auch ein Stück von Köln. Das wird eine Bild-Zeitung kaum erreichen.
Das ganze Multikulti in Köln hat dazu geführt, dass es hier tolle Restaurants gibt. Deshalb lunche ich auch ganz gerne. Und nach Feierabend gehe ich meist noch aus in eine der zahlreichen Kneipen und Cafes wie das Noa, in dem wir uns kennengelernt haben.

Dom und die anderen Sehenswürdigkeiten sind zwar schön, brauche ich aber nicht zwingend jede Woche. Es gibt auch vieles andere schöne hier. Ich gehe lieber Kunst anschauen in den zahlreichen Galerien und Museen.

LG: Wo würdest Du leben, wenn Du nicht in Köln leben würdest? Wie sieht Dein alternativer Lebensentwurf aus?

Christian: Berlin! Ich bin Deutschlandfan. Zum Beispiel Schauspieler an einer tollen Bühne, in Rollen schlüpfen, ohne sich Gedanken um Geld machen zu müssen.
Oder: Als Concierge im Adlon und den Gästen auch noch die schrägsten und ausgefallensten Wünsche zu ermöglichen! Dafür hätte ich was übrig. Beobachter und Teilnehmer all dessen zu sein. Das ist was für meinen inneren Fotografen.
Oder: Restauranttester in irgendeiner Stadt im Süden! Madrid zum Beispiel.Ich liebe es zu sehen, wie Empfehlungen von mir bei meinen Freunden funktionieren; die leuchtenden Augen.

Aber Deutschland ist klasse. Immer mal wieder die Change haben für eine gewisse Zeit wegzugehen ist klasse. Aber auch immer wiederzukommen.

Mehr Informationen:

Fotografien und Interview: Lars Gehrlein, Köln, 2013

Veröffentlicht von Lars Gehrlein

Lars Gehrlein ist ein Reise- und Porträtfotograf aus Köln. Er ist immer auf der Suche nach Geschichten über (noch) unbekannte Menschen und Orte, um sie zu erzählen oder zu fotografieren.

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