Fatuma Ismael (28) ist Kölnerin. Ihre Familie stammt aus Eritrea und kam in den 80ern nach Europa. Sie ist in der Nähe von Nürnberg aufgewachsen und hat als Hotelfachfrau auch eine Zeitlang in der Schweiz gelebt. Tatsächlich ist sie nach Köln gezogen, weil ihr der nächtlich beleuchtete Dom so gut gefallen hat.

LG: Was hast Du in der Schweiz gemacht?

Fatuma: In einem Hotel gearbeitet. Ich bin in Heilsbronn aufgewachsen. Das liegt etwa 30 km von Nürnberg entfernt. Ich wollte eigentlich was Soziales nach der Schule machen. Aber ich wollte auch unbedingt schnell aus meinem sehr traditionell religiösen Elternhaus ausziehen. Es gab zwar genügend Stellen im sozialen Bereich in der Gegend, aber irgendwie habe ich mich doch für das Hotelfach entschieden. Also habe ich eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert und dabei in Ansbach gelebt. Nachdem ich die Ausbildung 2005 fertig hatte, bin ich für ein Jahr zum Arbeiten als Saisonkraft in ein Hotel in die Schweiz.

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LG: In einer Stadt?

Fatuma: Nein. Im Gegenteil. Ich habe auf 1600m auf einem Berg in Mürren bei Interlaken gelebt und gearbeitet. Keine Autos. Kühe vorm Fenster. Und im Winter mit dem Snowboard zum Bäcker (lacht; überhaupt ist es schwierig, Fatuma nicht lachend auf ein Foto zu bekommen). Ich vermisse oft die Berge und die Kühe. Und oft auch die Gelassenheit in der Schweiz.

LG: Wie bist Du dann nach Köln gekommen?

Fatuma: Als das Jahr in der Schweiz zu Ende ging, habe ich mich in verschiedenen Gegenden beworben; unter anderem in Zürich und in München. Ich hatte schon verschiedene Vorstellungsgespräche hinter mir und weitere vor mir und sogar schon eine Zusage. Dazwischen habe ich irgendwann meine Schwester besucht. Die wohnte damals schon in Köln. Ich bin nachts am Hauptbahnhof angekommen und auf den Bahnhofsvorplatz gekommen. Da habe ich den beleuchteten Dom gesehen und gedacht: „Das ist so schön. In so einer Stadt möchtest Du leben“. Und das habe ich dann gemacht. Ich habe die restlichen Vorstellungsgespräche sausen lassen und die anderen abgesagt und bin erst mal zu meiner Schwester nach Chorweiler gezogen und habe mir dann einen Job gesucht. Später habe ich in der Stegerwaldsiedlung in Mülheim gewohnt, bin aber nach zwei versuchten und einem tatsächlichen Einbruch umgezogen nach Lindenthal. Von dort nach Ehrenfeld und im Juni muss ich schon wieder aus der Wohnung.

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LG: Du gehst zur Zeit wieder zu Schule?

Fatuma: Ja, stimmt. Ich liebe meinen Beruf, aber im Moment gehe ich aufs Berufskolleg in der Lindenstraße. Ich mache dort mein Abi nach, um später studieren zu können.

LG: Wie lange hast Du noch, bis Du fertig bist?

Fatuma: Noch zwei oder 12 Monate. Man muss sich auf die 13. Klasse bewerben und braucht dazu einen Schnitt von nicht schlechter als 3. Im Moment sieht das recht gut aus. Ich stehe bei 2,4 und werde wohl weiter machen können.

LG: Wie ist es in Köln für Dich? So gut wie erwartet?

Fatuma: Ich fühle mich in Köln pudelwohl und bereue es keine Sekunde hierhergekommen zu sein. Ich habe hier meine besten Freunde kennen gelernt, man ist nie alleine – immer findet sich jemand, mit dem man reden kann. Es ist hier leicht, ein gutes Gespräch zu bekommen. Viele halten Köln für oberflächlich. Ich halte das für Offenheit. Eines der wirklich schönen Dinge in Köln ist mein Arbeitsplatz, das Noa. Niemand muss sich hier verstellen. Es ist ein bisschen wie Familie. Und das liegt vor allem an Nuh (Nuh Ersoy, Chef und Inhaber des Café Noa, meines Kölner Lieblingsortes). Ich habe mir, als ich nach Köln kam, vorgenommen, mich nicht mehr zu verbiegen für eine Arbeit. Und das muss ich hier nicht. Alle fühlen sich hier wohl… so sehr, dass wir sogar in unserer Freizeit immer hier sind (lacht).

LG: Wie war Arbeit denn vorher für Dich?

Fatuma: Ach, in Franken habe ich nur die Ausländerquote erfüllt. In der Schweiz bin ich zweimal pro Tag angesprochen worden, woher ich denn komme. Da habe ich mir angewöhnt zu sagen, ich bin eine Deutsche aus Franken. Nur meine Wurzeln liegen in Eritrea.

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LG: Wie ist es dort, in Eritrea?

Fatuma: Das Land ist eigentlich das Gebiet von neun Stämmen. Jeder Stamm hat wiederum verschiedene Untergruppen mit eigener Sprache. Deswegen können die Menschen dort auch meist mehrere Sprachen. Auch meine Eltern sprechen mehrere Sprachen. Mein Vater gehört zum Stamm der Saho und meine Mutter zu den Afar, beides Minderheiten. Eritrea ist zu 50% orthodox christlich und zu 50% islamisch.

Heute streiten sich Eritrea und Äthiopien um ein Stück Wüste, dessen einziger Wert darin besteht, dass es am Meer liegt. Aber zur Zeit ist es wenigstens ruhig zwischen den beiden Staaten.

Ich habe aber nur wenig Verwandtschaft in Eritrea und kann eigentlich kaum was dazu sagen. Mehr Verwandte habe ich im Sudan. Meine Cousins im Sudan haben keine Möglichkeiten wie ich hier, einfach eine Schule zu besuchen und sich in eine andere Richtung zu entwickeln. Dort gibt es nur die Koranschule und der Spielplatz ist die Moschee. Alles was dort zählt sind Männer. Mädchen können dort nur bis zur fünften Klasse zur Schule gehen und werden danach zu Hausfrauen erzogen. Nähen, Kochen, Kinder. Der Koran schreibt das nicht vor. Aber die Männer machen sich zunutze, dass Frauen kaum Bildung haben.

LG: Verstehen Deine Verwandten Deine andere Einstellung?

Fatuma: Beim meinem Besuch meiner Verwandten im Sudan dieses Jahr dachten wohl einige, dass ich einlenken würde, aber mich hat die Situation dort, die wenigen Perspektiven, die wenigen echten Möglichkeiten traurig gemacht. Aber meine Familie dort hat mich angenommen, wie ich bin… mitsamt meinem vorlauten Mundwerk.

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LG: Was tun Deine Eltern heute?

Meine Eltern sind in den 80er Jahren nach Europa als Gastarbeiter gekommen. Mein Vater musste nach mehreren Bandscheibenvorfällen und einer starken Diabetes 1989 aber aufhören zu arbeiten. Seither geht meine Mutter bei Fleischmann arbeiten. Dort werden Modelleisenbahnen gebaut.

Für meinen Vater war das sicher nicht leicht. Sein ganzes Weltbild stand auf einmal auf dem Kopf. Die Frau verdient das Geld und der Mann kümmert sich um die Kinder. Aber alle haben sich arrangiert. Ich habe einen Hausvater und meine Mutter genießt die Unabhängigkeit, die sie durch die Arbeit hat.

LG: Unabhängig von der Erwartungshaltung Deiner Familie: Du fühlst Dich als Deutsche?

Fatuma: Auf jeden Fall!

LG: Woran kann ich das merken?

Fatuma: Versuch’ mir meinen Kartoffelsalat wegzunehmen! (lacht)

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Fotografien und Interview: Lars Gehrlein, Köln, 2013

Veröffentlicht von Lars Gehrlein

Lars Gehrlein ist ein Reise- und Porträtfotograf aus Köln. Er ist immer auf der Suche nach Geschichten über (noch) unbekannte Menschen und Orte, um sie zu erzählen oder zu fotografieren.

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2 Kommentare

  1. Vorlautes Mundwerk? Fatuma?:-)

    Meine Assoziationen zum Interview (BEWUSSTE Verknüpfung):

    Vielfalt, Köln, Persönlichkeiten, Selbstreflexion, Respekt, unaufgeregt authentisch, Lernen auf Basis der Lebenserfahrungen Anderer, mal witzig mal emotional, mutige Offenheit und mutmachend

    Welche UNBEWUSSTE Verknüpfung meiner Gedanken findet wohl noch statt?

    Danke dir Lars, für den gesellschaftlichen Mehrwert, welcher insbesondere aufgrund der “nüchternen” Betrachtung einzelner Persönlichkeiten resultiert. Für mich eine ideale Plattform aus der Vielfalt mich mal selbst zu beobachten und idealerweise ein Lernprozess auszulösen.

    LG
    Nuh

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