Negar Khaligh (29) ist Kölnerin. Aus dem Iran stammend, ist sie – mit Zwischenstation in Usbekistan – seit 1991 in Deutschland aufgewachsen und hat Politik, VWL und Psychologie studiert. Heute lebt sie im Belgischen Viertel. Im Moment finanziert sie sich durch die Arbeit in meinem Lieblingsort, dem Café Noa.
LG: Wie kam es, dass Du aus dem Iran nach Köln gekommen bist?
Negar: Mein Vater war politisch schon immer sehr aktiv. Nach schwierigen Jahren im Iran, erst unter dem Schah, dann nach der Revolution mit den Mullahs sind wird dann nach Deutschland gekommen. So bin ich über Siegen, Ratingen und Rösrath schließlich nach Köln gekommen. Meine Eltern leben heute beide in Köln. Ich bin erst einmal alleine weitergezogen nach Bonn und habe dort Politik, VWL und Psychologie mit Magisterabschluss studiert. Dazwischen war ich mit meiner Mutter, die 2 Jahre dort studiert hat, in Usbekistan.
LG: Ich dachte, Du studierst noch?
Negar: Ja, tue ich auch. Wieder. Geschichte und Sozialwissenschaften auf Lehramt. Nach dem ersten Studium habe ich festgestellt, dass ich doch den Weg meines Vaters eingeschlagen habe, auch wenn er gerade das nicht wollte. Ich bin aufgewachsen mit Menschen, die alles für eine Idee geopfert haben. Da brauchte ich recht lange, um herauszubekommen, wer ich bin, was ich will und was mein eigener Weg ist.
LG: Und welchen Unterschied macht da das neue Studium?
Negar: Ich finde es wichtiger, jungen Menschen zu ermöglichen, eine eigene Meinung zu finden, nicht ihnen eine fertige mitzugeben, wie z. B. die Politik das macht und wie ich das immer als Kind und Jugendliche erlebt habe. Politik trägt meiner Meinung nach das Grundprinzip der Verantwortung von oben in sich. Ich glaube aber, dass man tatsächliche Veränderung nur von unten erreicht. Die Partei meines Vater wartet heute noch jeden Tag darauf, die Chance zu bekommen, den Iran zu retten.
LG: Und wie fühlst Du Dich in Köln? Deutsch, iranisch?
Nicht zu 100% wie eine Deutsche. Mein Vater hat mir immer vorgelebt, dass wir nur hier sind, weil wir fliehen mussten und wir zurückgehen in den Iran, sobald die Situation dort das zulässt. Das macht das Verwurzeln in Deutschland recht schwer. Es gab da immer den Hinweis auf das Anderssein der Deutschen, ohne, dass wirklich benannt wurde, was denn anders ist. Freundschaften schließen ist dann ganz schön schwer; zumindest, bis man die Missverständnisse, die durch die kulturellen Unterschiede entstehen, durchschaut hat.
Ich denke, mein Charakter ist weder deutsch noch iranisch. Irgendwie dazwischen. Aber vermutlich ist das einfach die Art von Menschen, die zwischen zwei Welten leben. Das heißt aber auch, dass ich mir meinen eigenen Weg suchen kann: beispielsweise die deutsche Ehrlichkeit ohne die damit verbundene Unhöflichkeit – immer gesichtswahrend iranisch.
LG: Mir fällst Du nicht sehr iranisch auf.
Negar: Charmant, aber natürlich quatsch. Ich sehe zumindest eindeutig persisch aus. Tatsächlich ist das für mich in Bewerbungsgesprächen eine typische Situation. Immer kommt die Frage: „Woher kommen Sie?“
LG: Was machst Du, wenn Du nicht am Arbeiten oder Studieren bist, denn am liebsten?
Negar: Reisen. Ich bin schon gut rumgekommen. Ich war z.B. in Thailand, Australien, Indien und Russland. Ich war auch schon im Iran. Außerdem mag ich Handarbeit unheimlich gerne und produziere am laufenden Band Schals und Taschen (siehe z. B. auf den Fotos). Ich würde auch gerne eine Schreinerausbildung machen und Möbel mit meinen eigenen Händen bauen.
LG: Wo würdest Du denn leben, wenn Du nicht in Köln leben würdest? Was wäre generell Dein alternativer Lebensentwurf?
Negar: Auf NRW bezogen: Ich würde mich definitiv für Bonn entscheiden. Ich verbinde mit Bonn Nationalitätenvielfalt, Bildung, Kultur und spezielle und süße Läden und Restaurants und vor allem Ehrlichkeit. In Köln, vor allem im Belgischen Viertel, scheint mir vieles sehr oberflächlich zu sein. Der Fokus liegt eher auf dem Schein – nicht auf dem Sein.
Da ich kein fest verankertes Nationalgefühl habe, würde ich sagen, mein alternativer Lebenstraum ist es, wie vorhin schon erwähnt, Schreinerin zu werden und überall auf der Welt Möbel mit den entsprechenden einheimischen Einflüssen herzustellen. Aber zurückkehren würde ich immer wieder nach Deutschland. Ich liebe dieses Land und glaube, dass man sich hier auf eine Art und Weise entfalten kann, die in anderen Ländern nicht möglich ist.
Fotografien und Interview: Lars Gehrlein, Köln, 2013