Murat Ilyas Surat (37) ist Kölner. Er ist in Köln-Longerich auf die Welt gekommen, aber seine Familie stammt aus der Kleinstadt Arhavi am Schwarzen Meer in der Türkei, rund 25 km von Georgien entfernt. In dieser Region lebt das Volk der Lasen. Murat ist religiös konservativ aufgewachsen und spricht heute von seinem Glauben der Liebe zu Gott. Er ist gelernter Maurer, hat ein Fachabitur in Bautechnik begonnen, musste aber aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Danach war er 3 Jahre lang Baustoffprüfer bei der Hochtief, bis ihn die Welle der Pleiten in der Baubranche erwischt hat und er zu einem großen Modeschmuckvertrieb in Köln wechselte. Ich habe Murat bei einem Instawalk kennengelernt.
LG: In welchem Stadtteil lebst du gerade?
Murat: Ich bin im Agnesviertel aufgewachsen und habe 25 Jahre dort gelebt. Nach 3 Jahren auf dem Land in Pulheim Sinthern wohne ich jetzt seit 10 Jahren in Niehl.
LG: Von der Baustoffprüfung zum Modeschmuckvertrieb. Das ist ja mal ein radikaler Branchenwechsel. Wie findet man sich da ein?
Murat: Ich habe mich auf Anhieb bei Beeline, dem Unternehmen, für das ich jetzt arbeite, wohl gefühlt. Ich habe dort eine Stellung in der Logistik gefunden. Mir macht meine Arbeit Spaß und das ist mir wichtig. Deswegen ist es für mich keine große Umstellung gewesen, von der Baustoffprüfung in die Modeschmuckbranche.
LG: Warum bist Du immer in Köln geblieben? Gerade nach der Hochtief-Geschichte hätte sich doch auch mal eine andere Gegend angeboten.
Murat: Ganz einfach, ich fühl mich wohl in Köln, vor allem fühle ich mich in Kölle „zuhus“! Ich hatte nie den Drang, die Stadt oder das Land zu wechseln. Darüber nachgedacht habe ich aber und wer weiß, was das Leben noch mit sich bringt. Zurzeit fühle ich mich aber rundum wohl in Köln.
LG: Kannst Du mir etwas über die Lasen sagen? Ich weiß quasi nichts über die.
Murat: Klar. Die Lasen sind ein Volk aus dem Südkaukasus, also der südöstlichen Ecke des Schwarzen Meeres. Die Lasen haben eine lange eigenständige Kultur und Geschichte, die bis ins Altertum zurückreicht und eigene Königreiche hervorgebracht haben. Die Türken denken oft, dass Lasisch ein türkischer Dialekt der Region ist; es ist aber eine eigenständige Sprache, in der sogar eine Zeitung erscheint. Amtssprache ist aber Türkisch, es gibt also keinen Unterricht für Kinder in Lasisch.
LG: Du hast mir erzählt, dass Deine Eltern in religiösen Dingen Traditionalisten sind. Du hast Dich als Jugendlicher eher gegen die Religion gesperrt, sprichst jetzt selbst aber als Sufi von Dir. Was unterscheidet die Sufisten von den anderen islamischen Glaubensrichtungen? Wie kam Dein Sinneswandel zustande?
Murat: Gute Fragen, die nicht so einfach kurz zu beantworten sind, aber ich versuche es mal. Ich fange mal mit einem Satz an: Ich bin – Elhamdülillah („Lob gebührt Gott“) Muslim und versuche den Sufismus zu leben.
Sufismus ist eine asketische und spirituelle Bewegung im Islam und wird oft mit dem Wort Mystik in Verbindung gebracht. Der Sufismus ist ein Weg zu Gott: durch Liebe, eine Reise in Richtung der Wahrheit. Sufis sind unabhängig von einer bestimmten Religionszugehörigkeit und der Sufismus ist schon weitaus älter als der geschichtliche Islam.
Ich bin noch lange nicht so weit, mich Sufi zu nennen – dafür müsste ich noch sehr mehr viel lernen und reifer werden! Doch der Islam und der Sufismus erlauben es meiner Seele, zu reifen. Man kann das schlecht rational erklären und auch nicht durch Lesen von Büchern lernen und begreifen. Ich denke, man muss das persönlich erfahren und einüben. Viele orthodoxe Muslime lehnen diese Erkenntnispraxis und die bildhafte Reise zur Vereinigung mit Gott ab. Für sie ist die Form, wie ich den Islam lebe, Blasphemie. Für mich klingt das paradox: wie kann man, wenn man sich mit Gott vereinen möchte und sein Leben auf die Liebe zu Gott aufbaut, Blasphemie betreiben? Aber jeder ist frei in seinem Glauben. Für mich sind alle Menschen gleich, egal welchem Glauben sie angehören!
Meine Kindheit war durch meine Eltern stark religiös geprägt. Als Jugendlicher habe ich dagegen rebelliert und mir dann aber einen eigenen Weg gesucht, mich zu ändern; und den habe ich gefunden, indem ich meine Gedanken, meine Worte, meinen Taten und mein Herz meinem Schöpfer zugewandt habe. Das hat mich mit der Zeit dem Sufismus nähergebracht.
LG: Wie erlebst Du die Unterschiede zwischen Deinen Freunden mit muslimischem Hintergrund und denen mit christlichem Hintergrund? Ist es schwer in Köln für gläubige Menschen, die keine Katholiken sind?
Murat: Ich habe mit meinem Umfeld keine Probleme, alle treten sich mit Respekt gegenüber und nur das ist der richtige Weg, um zusammenzuwachsen. Wir sind alle Gottes Geschöpfe, man muss Dialoge führen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern!
LG: Spielt es heute noch eine Rolle in Köln, woher die Familie stammt?
Murat: Ich glaube, wenn ich sage, Köln ist Multikulti, müsste das doch schon alles aussagen, oder? Es gibt zwar vereinzelt Leute, die ihre Vorurteile nicht ablegen können, aber im Großen und Ganzen leben wir Kölner friedlich miteinander. Ich finde, es spielt keine Rolle mehr, woher die Familie stammt.
LG: Wie sieht denn ein typische Tag für Dich in Köln aus?
Murat: Einmal am Tag brauche ich einen Panoramablick auf den Rhein mit dem Dom im Hintergrund, das gehört für mich zu einem typischen Tag in Köln.
LG: Dein Vater war im früheren Ausländerbeirat – dem heutigen Integrationsrat – Mitglied. Du bist früh mit Politik in Kontakt gekommen.
Murat: Stimmt. Ich habe sogar in jungen Jahren selbst für den Ausländerbeirat kandidiert, um Erfahrungen zu machen. Das war sehr wichtig für mich. Ich habe aber schnell erkannt, dass die Politik nichts für mich ist. Weder die Stadt Köln noch die Beiräte haben es bis heute geschafft, den damaligen Beirat bzw. den heutigen Integrationsrat für die Integration wirklich zu nutzen, weil jeder seine eigenen Interessen verfolgt hat, und nicht etwa das gemeinsame Ziel der Integration. Das ist zumindest meine Interpretation!
LG: Wir beide haben uns übers Fotografieren kennengelernt. Auf einem eher gruseligen Instawalk über den Melatenfriedhof. Wie gehen Deiner Meinung nach Fotografie und Internet zusammen? Vor allem hinsichtlich Themen wie Urheberschutz? Auch an Deinen eigenen Fotos?
Murat: Also, Fotografie und Internet gehen gut zusammen. Man muss seine Fotos ja nicht unbedingt in Originalqualität hochladen, damit man sein Urheberrecht schützt (lacht). Und das Fotografieren ist – wie bei dir – eine Leidenschaft von mir und es macht mir Spaß, schöne Fotos mit meinen Mitmenschen zu teilen.
LG: Kannst Du denn privat noch gut ohne Internet auskommen? Ohne Facebook, Instagram, Twitter?
Murat: Ohhh, ich bin sehr präsent im Internet (lacht). Auf alles könnte ich bestimmt nicht verzichten und ich nutze die Netzwerke einfach, um schöne Sachen mit meinen Mitmenschen zu teilen. Das gefällt mir!
LG: Wie beeinflussen das Internet und vor allem die sogenannten sozialen Netze Dein Leben derzeit?
Murat: Ich verschwende ja zum Glück nicht meine ganze Freizeit mit den sozialen Netzwerken. Solange das alles keinen negativen Einfluss auf mich hat, ist das kein Problem!
LG: Zum Schluss noch die Anti-Köln-Frage: Wo würdest Du leben, wenn Du nicht in Köln leben würdest? Wie sieht Dein alternativer Lebensentwurf aus?
Murat: Istanbul! Ich liebe diese Weltmetropole! Ich kann mir gut vorstellen, dass ich in dieser übergroßen Stadt lebe und arbeite. Aber das sieht im Moment nicht danach aus, wie vorhin schon erwähnt. Ich fühle mich in Köln wohl und das ist, was für mich zählt.
Mehr Informationen:
- Wikipedia: Sufismus
- Murat bei Instagram: http://instagram.com/face_montana
Hallo,
ich finde den Beitrag über Face Montana sehr gelungen und
möchte mein Respekt auch dem Verfasser aussprechen.
Ich wünsche dem Projekt viel Erfolg und weiterhin viele
interessante Stories.
Mit frdl. Gruß aus Köln
Soner. A (dj. son-e)